Wolf: „Danke für den Begriff der Lüge. Ganz wichtig, dass wir den Begriff der Lüge wieder reinbringen. Der Populismus kann lügen und er tut es auch. Aber wir haben den Begriff der Lüge in den letzten Jahren viel zu wenig genützt und dadurch dem Populismus das Feld überlassen. Einerseits weil man Angst hatte, dass man geklagt wird, andererseits, weil man Angst hatte danebenzuliegen. Aber wenn jemand lügt, müssen wir das auch tatsächlich sagen. Denn mit der Lüge verbinden wir etwas, nämlich etwas Schlechtes. Das ist ein Framing, dass auch der Populismus selbst nützt. Deswegen können wir klar sagen: ‚Stopp. Das stimmt nicht, das ist eine Lüge.‘“
Wisinger: „Traurigerweise wird der Begriff ja ganz anders verwendet, nämlich mit Lügenpresse. Und das ist verheerend. Denn hier wird auch ein Referenzrahmen, nämlich seriöse Medien, zerstört.“
Aber es ist schwierig zu kontern, wenn jemand diese Lügen glaubt.
Wolf: „Mit dem nackten Faktencheck ist das unwahrscheinlich schwer. Irgendwann hilft der nicht mehr. Der hilft als Information, als Basis einer Argumentation. Aber dann kommt der nächste Schritt und das ist etwas, was in den letzten 20, 30 Jahren verlernt wurde: zu debattieren, zu streiten. Wir haben gesamtgesellschaftlich verlernt vernünftig zu streiten. Streit findet oft auf Social Media statt, indem man sich schlecht macht, sich beschimpft. Wir müssen auch demokratische Werte verteidigen können und dementsprechend auch in der Lage sein, Debatten zu führen. Dazu gehört auch ein fairer und vernünftiger Streit, wo man sich am Ende auf Augenhöhe begegnen kann. Das ist völlig verloren gegangen. Der Populismus hat das wirklich verstärkt, einen Gegner auch am Kern vorbei niederzuschreien. Donald Trump ist da wirklich perfekt. Ich habe gerade erst wieder ein Interview gesehen, wo er irgendwas geschwafelt hat von Waschmaschinen und Temperaturen. Er driftet von Themen völlig ab. Da passt das berühmte ‚mit der Taube Schachspielen‘. Das tut sie ja nicht, sie spielt kein Schach, sie wirft alle Figuren um. Wir müssen lernen, damit umgehen zu können und uns diesen Streitrahmen wieder für uns zu holen.“
Verstärkt sich das in einem Wahljahr wie heuer noch zusätzlich?
Wolf: „Im Vorfeld der EU-Wahlen hatten wir nicht die große Falschmeldungswelle, wie einige Menschen erwartet haben. Ich habe das nicht erwartet, weil das Thema Europa durch den Populismus, aber auch durch Putin, am Boden schon lange zerstört ist. Seit zehn Jahren wird daran gearbeitet, dass Europa nicht zusammenwächst, und das ist durch Falschmeldungen weitestgehend erreicht. Und jetzt stehen wir vor den großen Wahlen im Herbst. Ich bin gespannt, was in den USA oder auch in Österreich passieren wird. Das wird ein sehr spannender Herbst. Wir werden viele Geschichten hören, die wir in den letzten Jahren schon gehört haben und wir sagen: ‚Das passt doch alles nicht.‘ Aber sie werden wiederholt, weil dieser Wiederholungseffekt ganz wichtig ist. Dadurch werden nämlich Falschmeldungen in unseren Köpfen manifestiert. Im Erzählen von Geschichten, im Adaptieren was draußen gerade passiert und darum diese alten Geschichten zu erzählen, um zu manipulieren, da ist der Populismus gut.“
Wie kann man damit umgehen, wenn im eigenen Umfeld jemand abzurutschen droht?
Wisinger: „Immer wieder das Gespräch suchen und ab einem gewissen Punkt beginnen, Logik einzufordern und Widersprüchlichkeiten aufzuzeigen. Aber wichtig ist immer der Vorspann, bevor man argumentiert. Und ein Narrativ kommt selten allein. Das sind meistens Denkmuster, die sich im Verhalten und in Argumentationsweisen niedergeschlagen haben. Man muss das Thema eingrenzen, etwa nicht verallgemeinernd über ‚die Ausländer’ sprechen.“
Wo kommen Organisationen wie der ÖGB ins Spiel?
Wolf: „Gruppen sind generell wichtig. Das ist nicht nur der ÖGB, das können auch Sportvereine sein. Das sind alles Gruppen, die Halt bieten und bestimmte Werte vermitteln. Wir reden auch von moralischen Minima, die auf Social Media verloren gegangen sind, weil jeder jeden beschimpfen kann. Wenn ich jemanden isoliere, kann es sein, dass diese Personen sich in die Ecke oder zu Populisten hingetrieben fühlen. Deswegen sind Gruppen ganz wichtig. Diesen Halt kann natürlich auch der ÖGB bringen, dass man mit Menschen zusammen ist.“
Der ÖGB ist kraft seiner Mitglieder sicher ein guter Spiegel der Gesellschaft. Ist das eine Stärke? Kann man mit dieser Breite Fakten besser transportieren als andere?
Wisinger: „Ja, absolut. Egal ob das betriebliche Schulungen, Aus- und Fortbildungen oder Gewerkschaftsschulungen sind. Ich halte das für essenziell. Solidarität, Ausgewogenheit, der Schutz von Minderheiten- und Menschenrechten – das sind alles Kernbotschaften der Gewerkschaftsbewegung und anderer Gruppen, auch der Kirchen zum Beispiel. Wenn in Deutschland bei rechten Demos die Kirchenglocken läuten, dann finde ich das wunderbar. Das ist nämlich ein Bild.“
Ist das auch ein gesellschaftlicher Appell? Sollten wir uns mehr auf Gemeinsamkeiten und weniger auf Trennendes konzentrieren?
Wisinger:„Ja, das schwächt den Populismus.“
Wolf: „Ja, das ist es. Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun. Der Populismus will diese Probleme ja. Es gab ja Interviews, wo ein AfD-Politiker gesagt hat, je schlechter es Deutschland geht, desto besser geht es uns. Das mag der Populismus natürlich gerne, dass es einem Land schlecht geht, denn dann hat er die Chance nach vorne zu preschen.“
Aber dann kann das wahre Ziel des Populismus ja nicht sein, Probleme zu lösen.
Wisinger: „Hat das jemand behauptet? Wenn Populisten an die Macht kommen, geht auch nicht viel weiter.“
Wolf: „Wenn ich Probleme künstlich erschaffe, die gar nicht da sind, und mich selbst als Heilsbringer hinstelle, dann habe ich auch die Chance mich hinzustellen und zu sagen: ‚Jetzt sind sie weg.‘ Weil sie ja nie da waren. Ich habe nur eine Phantomdiskussion erschaffen und die dominieren oft auf Social Media. Diese große Phantomdiskussion etwa, dass der Nikolo nicht mehr in die Kindergärten kommt oder umbenannt wird. Das sind Phantomdiskussionen. Bargeldabschaffung ist ein Phantom. Schweinefleischverbot findet ja nicht statt. Das sind vielleicht gesellschaftlich evolutionäre Entwicklungen. Das das mal passiert. Aber das heißt nicht, dass es einen Deep State oder eine EU gibt, die das verbieten will. Nein, das gibt es nicht. Das sind alles Narrative, die Ängste aufbauen sollen, aber so nicht existent ist.“
Oft hört man den Vorwurf, dass Populisten wie Trump, der in Europa ja genügend Ableger hat, gar kein Interesse an Demokratie haben. Stimmt das?
Wisinger: „Wenn die Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt werden soll, wenn das Justizsystem abgewertet, politisch Andersdenkende kriminalisiert und Journalisten bedroht werden – was ist das sonst als eine Gefährdung der Demokratie? Das sind Dinge, die angekündigt und umgesetzt werden. Ich würde nicht darauf hoffen, dass das schon nicht so schlimm wird und wir ja unsere Verfassung haben. Wir sehen das in Ungarn, wir sehen das in Polen, welche Katastrophen die sogenannte illiberale Demokratie mit sich bringt. Da geht es an die Substanz. Es geht wirklich um viel und es geht auch um unsere Freiheit.“
Aber es gibt Politiker:innen bei uns, die die eben Genannten als Vorbild nennen. Ist das erschütternd?
Wisinger: „Im Grunde ja. Populisten gefällt es natürlich, was dort passiert. Man kann lügen, gegen Gesetze verstoßen, man kann gegen internationales Recht oder EU-Recht verstoßen. Das wird in gewisser Weise bewundert. Dagegen muss man massiv auftreten.“
Wolf: „Populistinnen und Populisten agieren ja häufig auch aus eigenen wirtschaftlichen Interessen. Nämlich, dass sie mehr Macht und mehr Geld haben wollen. Und sie versprechen ihren Anhängerinnen und Anhängern: ‚Wenn ich stark bin, bekommst du was. Dir geht’s dann gut, wenn ich gewählt werde.‘ Das ist natürlich völliger Quatsch, das Gegenteil passiert meist.“
Ist es deshalb so wichtig zu wählen?
Wisinger: „Das Wahlrecht wahrzunehmen, ist ein elementares demokratisches Recht und das muss in jedem Fall wahrgenommen werden. Sich dem zu entziehen, würde bedeuten, dass es einem egal ist oder man sich gesellschaftlichen Kräften aussetzt, die einem schaden können. Es ist wichtig, Position zu beziehen und auch Leute zu ermutigen.“Wolf: „Wählen gehen ist eine absolute Bürger:innenpflicht. Da sehe ich keinen Verhandlungsspielraum. Ich muss nicht wählen, was meine Eltern immer gewählt haben und darauf beharren, dass meine Kinder das auch irgendwann tun. Es spielt überhaupt keine Rolle, welche Partei. Das ist völlig parteiunabhängig, dass ich die Programme schaue und sehe, worum es denen eigentlich geht, was erreicht werden soll und was die aufbauen wollen. Das wird nämlich immer vergessen. Es wird immer nur geschaut, was machen die schlecht. Das ist ja auch Ziel der Schmutzkampagnen, die anderen schlecht zu machen. Aber was wollen die eigentlich, was soll wirklich geschaffen werden und auf welche Art und Weise? Und da kann ich Populismus auch entlarven. Er bietet keine tiefgehenden Antworten, sondern kurze. Er gibt Verantwortung auf Sündenböcke ab. Also auf jeden Fall: Bitte wählen gehen!“