Mitarbeiter setzen Gesundheit auf’s Spiel
Selbstgefährdung und Selbstausbeutung
Personalknappheit und die Angst, den eigenen Job zu verlieren, zwingen Arbeitnehmer vermehrt dazu, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Eine aktuelle Untersuchung der deutschen Bertelsmann-Stiftung liefert alarmierende Ergebnisse. Für Österreich fehlen aktuelle Zahlen, AUVA-Arbeitspsychologe Herbert Friesenbichler ist jedoch überzeugt, dass die Befunde im Wesentlichen auch hierzulande gelten.
Bertelsmann befragte 1.000 deutsche Arbeitnehmer in einer repräsentativen Studie. Laut den Ergebnissen legt ein Viertel der Vollzeitbeschäftigen ein zu hohes Arbeitstempo vor. Langfristig, so die Interviewten, sei das nicht durchzuhalten. 18 Prozent stoßen oft an ihre Leistungsgrenzen, 23 Prozent machen keine Pausen. Jeder Achte kommt sogar krank zur Arbeit. Damit wachse bei vielen die Gefahr, die eigene Gesundheit zu gefährden, so das Ergebnis der Studie.
Ausnahmeleistungen werden zum Maßstab
42 Prozent beklagten, dass das Arbeitsumfeld durch die Erwartung an steigende Leistungsziele geprägt werde. Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er den Ansprüchen gerecht werden soll. Werden zu hohe Ziele dennoch erreicht, gelten diese sofort als neuer Maßstab. Aus diesem Teufelskreis gebe es kein Entkommen, glaubt jeder zweite Arbeitnehmer. 51 Prozent der Befragten geben an, keinen oder nur geringen Einfluss auf ihre Arbeitsmenge zu haben. Über 40 Prozent sagen das auch über ihre Arbeitsziele.
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Studie mit kleinen Abweichungen auch auf Österreich umzulegen ist, sagte AUVA-Experte Friesenbichler gegenüber ORF.at. Denn Deutschland und Österreich ähneln einander sowohl bei der Struktur der Betriebe als auch bei Arbeitszeiten und sozialen Rahmenbedingungen sehr.
Flucht aus Stress durch Drogenkonsum
Formen der Selbstgefährdung beobachtet Friesenbichler im Umgang mit Beschäftigten viele: einerseits die Bereitschaft von Arbeitnehmern, aus Angst vor Arbeitsplatzverlust krank zur Arbeit zu gehen, andererseits den Konsum von leistungssteigernden Mitteln ebenso wie Beruhigungsmitteln und Drogen, etwa Alkohol, um „die graue Welt mit einem rosa Filter“ zu sehen. Das seien „durchaus gängige“ Formen der Selbstgefährdung. Eine weitere sei die Selbstausbeutung, etwa indem über das Maß hinaus gearbeitet werde – das treffe, so der Experte, besonders Arbeitnehmer in prekären Verhältnissen.
Friesenbichler beobachtet jedenfalls, dass Arbeitnehmer über zunehmenden Druck klagen, hervorgerufen durch eine knappe Personaldecke, aber auch durch hohe und in vielen Fällen stark variierende Arbeitsmengen. Wenn ein Unternehmen einen Auftrag annimmt, obwohl dafür gar nicht die Kapazitäten vorhanden sind, werde der Druck eins zu eins an die Mitarbeiter weitergegeben. Betroffen sind aus seiner Sicht vorwiegend die Branchen Industrie, Logistik, Transport, Versandhandel und der Bau.
Manager haben’s leichter
Die Annahme, dass großer Stress und Burn-out eine Managerkrankheit seien, ist aus seiner Sicht ein völliger Trugschluss. Die Ebenen darunter seien wesentlich stärker betroffen. Führungskräfte „sind besser dran“, weil diese größere Dispositionsmöglichkeiten hätten. Den „Letzten in der Kette“ hingegen treffe es am stärksten.
Verbessern lässt sich die Situation aus Sicht von Friesenbichler durch zwei Maßnahmen: einerseits durch die Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben; andererseits sei auch mehr Aufklärung auf Managementebene wichtig. Arbeitgebern müsste klar werden, was es langfristig für das Unternehmen bedeutet, wenn seine Mitarbeiter ständig unter Stress stünden und demotiviert seien. Unternehmen profitierten schließlich langfristig davon, wenn ihre Mitarbeiter gesund sind. Allerdings, räumt Friesenbichler ein, sei das auch nur dort relevant, wo Mitarbeiter nicht sofort beliebig austauschbar sind.
(Information gesehen auf orf.at, 17.03.2015)