Ein Viertel unserer Arbeitszeit ist unproduktiv!
Wirtschaftskammer will mit provokanten Forderungen bezahlte freie Tage reduzieren
Die Wirtschaftskammer (WK) Oberösterreich hat zusammengezählt, für wie viele Wochentage im Jahr die Belegschaften der heimischen Unternehmen bezahlt werden, aber nicht produktiv arbeiten: 26,5 Prozent, also mehr als ein Viertel der jährlich bezahlten Stunden, wird demnach nicht gearbeitet.
Die bezahlte Nicht-Arbeitszeit setzt sich zusammen aus:
- 25 Tagen Jahresurlaub
- 13 gesetzlichen Feiertagen
- 13,5 Tagen durchschnittlicher Krankenstand
- 2,9 Tagen bezahlte Freistellungen für Arztbesuch, Pflegefreistellung, Übersiedlung und ähnliches.
Auf 14,5 Arbeitstage summieren sich private Tätigkeiten während der Arbeitszeit wie Telefonate, Rauchpausen, Internetsurfen. Das haben Arbeitnehmer bei einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitut Imas angegeben. Pro Tag gehen demnach 29 Minuten fürs Privatisieren drauf. Bei 260 Arbeitstagen im Jahr erbringe der Angestellte nur an 191 Tagen die vertraglich vereinbarte Leistung, folgert daraus die WK. Das sei im internationalen Vergleich ein niedriger Wert. Präsident Rudolf Trauner sagt, „die Mitarbeiter sind zwar fleißig und engagiert, aber zu wenige Stunden an ihrem Arbeitsplatz produktiv tätig“.
Die WK knüpft daran Forderungen, wie das Nicht-Bezahlen des ersten Krankenstandstages. Erhard Prugger, Sozialrechts-Experte der WK, sagt, diese Regelung habe sich in Schweden bewährt. Das Krankenstandsverhalten habe sich geändert, Kurzzeit-Krankenstände habe man weggebracht.
Arbeiterkammer (AK)-Präsident Johann Kalliauer entgegnet, die Zahl der Krankenstandstage sinke seit Jahren. Im Übrigen seien nicht die Kurzzeit-Krankenstände, sondern die Entwicklung der Langzeit-Krankenstände besorgniserregend.
Freizeitunfälle anders behandeln
Immer wieder in der Kritik der Wirtschaftskammer stehen die Freizeitunfälle. „Diese machen 75 Prozent aller Unfälle aus. Die Krankenstände bezahlen aber zu 100 Prozent die Unternehmen“, sagt Prugger. Die WK will Verunfallte an der Entgeltfortzahlung beteiligen, was praktisch ein Kürzen der sechswöchigen Entgeltzahlung bedeuten würde. Ein Drittel kann sie sich vorstellen. „Wir haben die höchste Entgeltfortzahlung in der gesamten EU-27“, argumentiert Prugger im OÖN-Gespräch.
Die Interessenvertretung geht noch einen Schritt weiter und möchte auch bei Kuraufenthalten in geringem Ausmaß eine zeitliche Beteiligung der Antragsteller. Drei Tage bei drei Wochen seien zumutbar, sagt Prugger. Noch dazu sei es erfahrungsgemäß so, dass in Jahren mit Kuraufenthalten viel Urlaub stehen bleibe.
Apropos nicht genutzter Urlaub: Laut Wirtschaftskammer würden durchschnittlich 11 Urlaubstage in ein Folgejahr mitgenommen. „Ob da Übersiedlungstage angemessen sind, kann man also durchaus in Frage stellen“, so Prugger.
Für AK „Rundumschlag“
Kalliauer sagt zu den Vorschlägen: „Ich bin über den Rundumschlag der Wirtschaftskammer entsetzt.“ Ihn störe vor allem, dass die Unternehmerkammer suggeriere, die Arbeitnehmer würde alles andere mehr interessieren als die Arbeit. „Dabei ist es ein Verdienst der Mitarbeiter, dass die heimische Wirtschaft so gut dasteht. Wir reden gern über die Entlastung des Faktors Arbeit, aber über diese Forderungen reden wir nicht.“
Dazu der Kommentar von Sigrid Brandstätter, OÖN., 16.02.2013:
Gegenschlag – Tausche Privatgespräche gegen Überstunden
Die Wirtschaftskammer begibt sich auf dünnes Eis mit ihren Forderungen, den ersten Krankenstandstag nicht zu bezahlen, oder Opfer von Freizeitunfällen die Entgeltzahlung zu kürzen. Freizeitunfall bedeutet oftmals Sportunfall. Dass man sich beim Laufen, Fußballspielen, Radfahren oder dem statistisch besonders gefährlichen Skisport verletzen kann, ist evident. Heißt die Alternative fernsehen und Chips essen? Ein ungesunder Lebensstil kommt langfristig teurer als Sportunfälle.
Zum ersten Krankenstandstag: Da will die Wirtschaftskammer die Montags-Blaumacher erwischen. Ein Punkt. Aber warum jene noch strafen, die ihre grippalen Infekte mit Kürzest-Krankenständen bewältigen und lieber ihre Kollegen anstecken, als sich vernünftig auszukurieren?
Wer den Mitarbeitern die Gespräche beim Kaffeeautomaten (die übrigens auch produktiv sein können) vorhält, muss damit rechnen, bald nicht bezahlte Überstunden vorgerechnet zu bekommen.
Oder holt jemand bloß zum Konter aus, weil die Arbeitsinspektoren bei der Einhaltung der Arbeitszeiten allzu penibel vorgegangen sind und die Unternehmer unlängst schwer verärgert haben? Dieser Zusammenhang ist sicher völlig aus der Luft gegriffen.
(Information gesehen in den OÖ. Nachrichten, 16.02.2013 – oder auch online (mit vielen Kommentaren) nachlesbar unter: OÖN-Artikel)
Reaktion Gewerkschaft PRO-GE, Rainer Wimmer:
Krankenstände: Absurde Arbeitgeber-Forderungen
Wimmer: Nur kürzere Arbeitszeiten und gesündere Arbeitsplätze können Fehlzeiten reduzieren„Wer krank ist, soll möglichst schnell gesund werden und nicht möglichst lange krank in die Arbeit gehen“, erteilt Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE den Forderungen der Wirtschaftskammer Oberösterreich eine klare Abfuhr, für den ersten Krankenstandstag keine Entgeltfortzahlung mehr leisten zu müssen.
„Langfristig sind die Krankenstände deutlich zurückgegangen“, verweist Wimmer auf den letzten Fehlzeitenreport des WIFO.
„Gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung speziell in belastenden Tätigkeiten wie Schichtarbeit und Verringerung regelmäßig geleisteter Überstunden wäre der intelligente Weg zur Reduktion von Krankenständen“, zeigt Wimmer sinnvolle Alternativen auf.
„Die unverfrorenen Ideen der Arbeitgeber, wie Krankheit zu bestrafen, werden die Gewerkschaften mit aller Kraft bekämpfen.“
„Anstatt sich möglichst schnell auszukurieren, schleppen sich viele Menschen so lange es geht trotz Krankheit in die Arbeit„, stellt der PRO-GE Vorsitzende fest. Dieses Verhalten werde immer mehr zur Selbstverständlichkeit, obwohl die Unsinnigkeit allen Beteiligten bewusst sei. Verminderte Arbeitsleistung und gegebenenfalls eine erhöhte Ansteckungsgefahr für die KollegInnen seien die Folge. „Die Wirtschaftskammer möchte diesen Trend offensichtlich noch stärken, dem eigentlich entschieden gegengesteuert werden muss“, kritisiert Wimmer.
1980 waren die Beschäftigten laut WIFO-Fehlzeitenreport im Schnitt 17,4 Tage im Krankenstand, 1990 15,2 und im Jahr 2000 14,4 Tage. „Die aktuellen 13,2 Krankenstandstage im Jahr 2011 sind also absolut kein Grund zum Alarm schlagen“, weist Wimmer die Argumente der WKÖ zurück. Auf der anderen Seite haben die ÖsterreicherInnen laut Eurostat 2011 mit 41,8 Stunden pro Woche länger gearbeitet als fast der gesamte Rest Europas. Nur Großbritannien weist längere Arbeitszeiten auf, der EU-Schnitt liegt bei 40,4 Wochenstunden.
Genau hier sieht der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft auch Potential für eine weitere Reduktion der Fehlzeiten. „Österreich gehört seit Jahren zu den Ländern mit den längsten Arbeitszeiten in der EU“, sagt Wimmer.
Alleine im dritten Quartal 2012 wurden in Österreich laut Arbeiterkammer Oberösterreich über 74 Millionen Überstunden geleistet, 17 Millionen davon sogar unbezahlt.
„Lange Arbeitszeiten machen krank“, stellt Wimmer klar. Nötig sei daher eine Reduktion regelmäßig geleisteter Überstunden und kürzere Arbeitszeiten, vor allem in besonders belastenden Tätigkeiten wie der Schichtarbeit. „Denn nicht mit Bestrafung von Krankheit, sondern nur mit Förderung der Gesundheit, können Krankenstände tatsächlich reduziert werden.“
Reaktion des ÖGB, Walter Schopf, auf die Aussagen der Wirtschaftskammer:
Empörte ArbeiterInnen wehren sich gegen WK-Pauschalangriff –
Gewerkschaft fordert korrekte Entlohnung von Überstunden
Viele empörte ArbeitnehmerInnen rufen in den letzten Tagen bei der Gewerkschaft an oder machen bei Betriebsbesuchen ihrem Ärger Luft: „Die provokanten Aussagen über die angebliche Unproduktivität von ArbeitnehmerInnen sind eine Beleidigung für alle arbeitenden Menschen“, stellt sich Walter Schopf, Landessekretär der Produktionsgewerkschaft PRO-GE hinter die Beschäftigten. „Manche Vorschläge, wie etwa dass der Krankenstand nicht mehr bezahlt werden soll, haben bei vielen Menschen, die Tag für Tag ihr Bestes geben, für Verunsicherung gesorgt.“ Die Unternehmer sollten vielmehr darauf achten, gesetzliche Regelungen, wie etwa das Arbeitszeitgesetz, einzuhalten und für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die nicht krank machen.
Arbeitnehmer indentifizieren sich mit Betrieben
Schopf verurteilt die pauschale Verunglimpfung der österreichischen ArbeitnehmerInnen aufs Schärfste: „Die österreichische Wirtschaft steht nicht umsonst im internationalen Vergleich so gut da. Unsere ArbeitnehmerInnen sind höchst produktiv, flexibel und identifizieren sich stark mit den Unternehmen, in denen sie tätig sind. Sie haben es wahrlich nicht verdient, als Minderleister dargestellt zu werden.“ Aus vielen Gesprächen mit ArbeitnehmerInnen weiß Schopf, dass es vielfach umgekehrt sei: „Nicht das bezahlte Nichtstun ist ein Problem, sondern die unbezahlte Arbeit, Etwa, wenn Überstunden nicht oder nicht korrekt entlohnt werden“, stellt der Gewerkschafter klar.
Plumpes Ablenkungsmanöver
„Uns ist schon klar, wie die jüngsten Ausritte der Wirtschaftskammer Oberösterreich zu bewerten sind: Als Ablenkungsmanöver von der für sie peinlichen Arbeitszeitdebatte. Absurde Vorschläge, wie die Abschaffung von Übersiedlungstagen wegen nicht genutzter Urlaubstage, sind eigentlich gar keinen ernsten Kommentar wert. Wenn aber die Grenzen den guten Geschmacks so weit überschritten werden, dass ArbeitnehmerInnen wirklich herabgesetzt und beleidigt werden, können wir das nicht ignorieren und zur Tagesordnung übergehen.“
WK verärgert ArbeiterInnen und schadet damit eigenen Mitgliedern
Die Gewerkschaft fordert von der Wirtschaftskammer, in ihren eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass alle Arbeits- und Überstunden korrekt entlohnt werden. Statt die Entgeltfortzahlung im Krankenstand in Frage zu stellen, solle sich die WK lieber für Arbeitsbedingungen stark machen, die die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen erhalten. „Motivierte Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital jedes Betriebs. Die WK erweist ihren eigenen Mitgliedern einen Bärendienst, wenn sie die ArbeitnehmerInnen derart verärgert“, meint Schopf.