Freizeitregeln für Dienstmails und Handy?
Angesichts steigender psychischer Belastung von Arbeitnehmern will die deutsche Regierung klare Regeln zur Erreichbarkeit in der Freizeit. Moderne Techniken wie Smartphones schafften zwar „Flexibilität“, sagte die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Berlin. Aber das könne Arbeitnehmer auch überfordern, „wenn Menschen die Balance zwischen Erholungszeit und Arbeitszeit nicht mehr finden“.
Von der Leyen sagte, die Gesellschaft müsse „lernen, mit diesen Techniken zurechtzukommen, damit nicht die Techniken uns beherrschen und unser Leben dominieren, sondern wir die Techniken beherrschen“. So wie es Arbeitsschutzmaßnahmen wie Bauhelme gebe, müsse es auch psychischen Arbeitsschutz geben. In der Freizeit „sollte Funkstille herrschen“, forderte Von der Leyen.
Regeln für Handykultur und E-Mail-Verkehr
Die Ministerin verwies auf das Arbeitsschutzgesetz, das nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit betreffe. Dadurch sei bereits geregelt, dass Unternehmen ihre Beschäftigten auch vor zu hoher Belastung schützen müssten. Auch sehe das Gesetz deutliche Strafen vor, wenn diese Vorgaben nicht beachtet würden.
Von der Leyen forderte deshalb „ganz klare Regeln“ in den Betrieben, „was Handykultur und Mailverkehr angeht“. Festgelegt werden müsse in entsprechenden Vereinbarungen, wann Beschäftigte erreichbar sein müssen und wer genau betroffen ist. Auch sollte nach Ansicht der Ministerin klar geregelt sein, dass E-Mails nicht gelesen oder nicht beantwortet werden können, dass ein Handy auch ausgeschaltet werden darf.
Verweis auf Arbeitsschutzgesetz
Von der Leyen kündigte an, nun zunächst mit einer Informationskampagne gezielt auf Unternehmen zuzugehen. Den Firmen müsse dabei klar werden, dass das Arbeitsschutzgesetz „ein sehr scharfes Gesetz“ ist. Auch sollten Beispiele zu Vereinbarungen in den Betrieben aufgezeigt werden. Im kommenden Jahr solle das Thema dann im Rahmen von Gesprächen zur Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutz-Strategie besprochen werden. Diese wird vom Bund, den Ländern und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung beraten.
Gewerkschaft für Anti-Stress-Verordnung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, die Bundesregierung müsse sich für klare Regeln zur Erreichbarkeit von Arbeitnehmern in ihrer Freizeit einsetzen. Dazu müsse das Arbeitsschutzgesetz durch eine Anti-Stress-Verordnung ergänzt werden, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Nachrichtenagentur AFP. Die ständige Erreichbarkeit führe zu „erheblichen Problemen für die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für die Wirtschaft selbst“.
Zahl der Stresserkrankungen explodiert
Buntenbach sagte, die Zahl psychischer Erkrankungen sei in den vergangenen Jahren „geradezu explodiert“: „Seit 1994 sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Leiden um 80 Prozent gestiegen. Arbeitsbedingte psychische Erkrankungen sind der Hauptgrund für Erwerbsminderung.“
Der DGB-Vorstand forderte daher „mehr Beratung, Kontrolle und im Zweifel auch Sanktionen für die Arbeitgeber“. „Wohlklingende Appelle“ der Bundesarbeitsministerin reichten dafür aber nicht aus. Dem DGB-Index für Gute Arbeit zufolge müssten 60 Prozent der Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit erreichbar sein, 33 Prozent sogar oft oder sehr oft. Eine Umfrage des Hightech-Verbandes Bitkom ergab, dass sogar 88 Prozent der Berufstätigen außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit für Kunden, Kollegen oder Vorgesetzte zu erreichen sind.
Arbeitgeber gegen „Leistungseinschränkung“
Ein Sprecher der Gewerkschaft verdi sagte, der Drang zur ständigen Erreichbarkeit sei „eine ambivalente Entscheidung“. In manchen Unternehmen seien die Anforderungen gegeben, einige Arbeitnehmer setzten sich aber auch selbst unter Druck.
Vonseiten der deutschen Arbeitgeber hieß es: „Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, mehr zu leisten, als er vertraglich schuldet. Umgekehrt gilt aber auch: Engagement und Leistungsbereitschaft sollten nicht zwangsweise eingeschränkt werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Es stehe jedem Unternehmen frei, Näheres in Dienstanweisungen oder Betriebsvereinbarungen zu regeln“, betont ein BDA-Sprecher auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa.
Neugier versus Druck
Der Wirtschaftspsychologe Alexander Cisik wies gegenüber der dpa darauf hin, dass die Erreichbarkeit nicht jeden stresst: „Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass eine permanente Erreichbarkeit krankmachen kann.“ Wenn man auf eine dringende Nachricht warte, könne man sein Informationsbedürfnis natürlich stillen. „Wenn aber der Arbeitgeber wissentlich oder eher unterschwellig seine Mitarbeiter nachts oder auch am Wochenende kontaktiert, dann entsteht daraus natürlich eine Drucksituation“, sagt der Experte. Deshalb müssten Führungskräfte und Mitarbeiter klare Regeln aufstellen.
(Information gesehen auf www.orf.at, 13.06.2012)